Leben ist Poesie

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Das Leben des Rudolf Korbel

Ich bin im Jahr 1951 in Ansbach geboren, das ist ziemlich lange her,

und ich habe immer Heimweh nach Ansbach, egal, wo ich bin.

In meiner Geburtsurkunde steht, dass ich Rudolf Fritz Korbel heiße.

Ich selber glaube, dass ich ein Rabe bin. Auf Französisch heißt Rabe 'Corbeau'.

Als Kind hatte ich rabenschwarzes Haar und meine Zahnärztin sagte,
 dass ich eine Sünde Wert bin.
Damals verstand ich das nicht, 
heute weiß ich, was sie gemeint hat.

Ich erinnere mich gerne an meine Zahnärztin. Sie roch sehr gut.

Ich mag überhaupt alles, was gut riecht: Himbeeren, Steinpilze ...

Und hier meine Lebensgeschichte:

Du bist zu klein
oder: Der Hocker meiner Oma

Gibt es hier jemand, der klein ist? Wer von euch ist klein? 
Ah, du! 

Ja, du bist klein, 
aber du bist nicht zu klein.
Als ich klein war, haben alle Leute gesagt:
„Du bist zu klein.
Du bist zu klein, du kannst nicht mit dem Roller fahren.

Du bist zu klein, du kannst nicht alleine über die Straße gehen.

Du bist zu klein, um alleine einkaufen zu gehen.

Du bist zu klein, du darfst noch kein Bier trinken.”
Das hat mich geärgert, obwohl ich das Bier gar nicht mochte.

Aber nur etwas nicht zu dürfen, weil man zu klein ist, das ist ärgerlich.
Aber Ärger ist gut, sehr gut, man sucht nämlich nach Gedanken,
um den Ärger zu vertreiben, und das macht klug.
Immer wenn ich auf der Suche nach guten Gedanken war, ging ich zu meiner Oma.

Aber dieses Mal konnte sie mir nicht helfen. Ich war sehr enttäuscht, als sie sagte :

„Vielleicht bist du wirklich noch zu klein. Aber warte, du kriegst ein Bonbon.”

Immer wenn die großen Leute nicht weiter wissen, schenken sie dir ein Bonbon.

Oma ging zum Küchenbuffet und öffnete die obere Türe.
Die Büchse mit den Bonbons war auf dem obersten Brett und Oma kam nicht an die Büchse ran.

„Siehst du, ich bin auch zu klein”, sagte sie und lachte, dann holte sie so einen kleinen Stuhl,
so einen Hocker, stellte sich drauf und – schwupp di wupp hatte sie die Büchse.
So bekam ich mein Bonbon
und gleichzeitig meinen guten Gedanken.

„Oma, gibst du mir den Hocker, dann kriegst du meinen Teddybär.”



Von diesem Tag an hatte ich kein Problem mehr. 
Immer wenn ein Großer sagte:
„Du bist zu klein”, 
stellte ich mich auf den Hocker und sagte: „Ich bin groß!”

Und man glaubte mir.
 Auf einmal durfte ich mit dem Roller fahren,
alleine über die Straße und alleine zum Einkaufen.
Nur Bier durfte ich nicht trinken.

Aber das war mir egal, Hauptsache, ich durfte mit dem Roller fahren.

Das mit dem Hocker klappte wirklich gut.


Plötzlich, eines Tages war ich erwachsen und es war mir peinlich, immer einen Hocker mit mir herumzutragen.

Aber ihr wisst, auch erwachsene Menschen fühlen sich manchmal 
sehr klein.
 Was sollte ich tun?
Ich konnte doch nicht mit dem Hocker zu meinem Chef gehen. Oder auf das Bürgermeisteramt oder
zu meinem unfreundlichen Nachbarn, oder zu der Frau, die ich liebte.

Oma um Rat fragen! Das war eine gute Idee! 
Aber Oma war schon vor vielen Jahren gestorben.

Und trotzdem, sie hat mir geholfen. Sie war zwar nicht mehr da, aber sie war immer in meinem Kopf
und ich konnte sogar mit ihr sprechen: Also war sie doch da.


Genau – der Hocker musste in meinen Kopf, dann konnte ich ihn
 benutzen, ohne dass die anderen es sahen.

Schwupp di wupp, zauberte ich den Hocker in meinen Kopf, 
und wirklich, es funktionierte.
Als mein Chef mir sagen wollte „Corbeau, Sie sind zu klein”, stellte ich mich in Gedanken auf meinen Hocker und mein Chef sagte:
„In Ordnung Corbeau, Sie machen einen guten Job!”
Als meine Freundin einmal von einem interessanten Mann eingeladen wurde – der war sehr reich und sehr schön und fuhr einen Mercedes –
stellte ich mich auf meinen Hocker und sagte: „Du kannst ruhig mit ihm ausgehen, das macht mir nix aus.”

Da antwortete meine Freundin: „Corbeau, du bist der Größte! 
Ich möchte lieber mit deinem Käfer spazieren fahren als mit dem Mercedes.”



Kinder, ihr könnt mir glauben, da war ich sehr stolz. Aber von meinem Hocker habe ich nur Euch erzählt, weil ich weiß, ihr werdet mich nicht verraten.

Und noch eines sage ich euch, aber ihr dürft mich wirklich nicht verraten:
Das Schönste in meinem Leben war, als ich das erste Mal mit einem Roller gefahren bin, und das verdanke ich dem Hocker meiner Oma.
 
 

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